Mindset-Jonglage: Spieler darf nicht Techniker sein
Techniker und Spieler bestreiten gemeinsam eine Aufführung.
Im Idealfall sind beide für den Ausdruck auf der Bühne verantwortlich: Der Techniker kümmert sich um die beste Gestaltung der technischen Medien, der Darsteller kümmert sich um die beste Gestaltung der Live-Darstellung. Beide müssen Timing und Rhythmus beachten. Nur gemeinsam machen sie die Show.
Aber sie haben einen ganz unterschiedlichen workflow, sowohl im Entstehungsprozess der Produktion als auch im Showalltag.
Ein Techniker muss viel vorm PC und vor anderen Steuereinheiten sitzen und diese lernen, sie einstellen und programmieren. Heute geht es nicht mehr ohne einige Grundlagen im IT-Bereich. Besonders über Netzwerk muss man Bescheid wissen, um selbstständig arbeiten zu können.
Im Idealfall hat ein Techniker auch flinke Hände und engagierte Ideen. Von Großvolumigen und schweren Aufbauten bis hin zu kleinteiligen Reparaturen passiert Vieles während dem Spielbetrieb.
Der Techniker muss sich persönlich zurücknehmen und gut beobachten können, um gegebenenfalls aktiv zu werden. Dafür ist es notwendig, dass er die Show überblickt und sich nicht in Details verliert.
Ein Spieler muss sich auf verschiedenen Levels über die Bühne bewegen, am Boden liegen, auf alles Vieren laufen und rückwärts rennen. Muss trainieren zu fühlen, anstatt zu denken.
Der Spieler übt seine Abläufe, um sie zu vergessen, also den Kopf wieder davon frei zu bekommen. Er spricht mit wechselnden Betonungen, er singt und macht doof aussehende Bewegungen. Das zielt darauf ab, dass später der Körper des Spielers den Text, die Musik und die Situationen des Stücks auswendig beherrscht. Richtig auswendig ist es erst, wenn die Abläufe nicht nur auf eine geradlinige Art beherrscht werden, sondern sich der Spieler so sehr „eingelebt“ hat, dass er das Stück sinnvoll improvisieren kann, wann immer etwas Neues passiert.
Sich in verschiedenen Kontexten des Stückes immer wieder auf der Bühne zu bewegen, hilft dem Spieler auch, sich und andere später nicht zu verletzen. Bin ich Spieler, dann möchte ich erreichen, dass mein Körper von alleine weiss, wie er sich zu bewegen hat.
Geistig erlebt ein Spieler jeden Moment in der Show und mit dem Publikum zum ersten Mal. Nur dann ist es wirklich lebendig, nur dann verdient es die Umschreibung „live“.
Die Aufgabe des Spielers ist, sich idiotensicher vorzubereiten und sich in immer neue Trigger, Details, Randaufgaben und Herausforderungen der Rolle zu vertiefen, damit jeder Showtermin einzigartig ist.
Es ist wahnsinnig anstrengend, für ein- und dieselbe Produktion zwischen dem Mindset des Technikers und dem des Spielenden hin- und herzuwechseln. Diese Anstrengung an sich bedeutet eine Resourcenverschwendung, und deshalb ist so eine Praktik auch fast nur bei tourenden kleinen, familiären Produktionen zu finden.
Die Freiheit in Beidem
Das bedeutet allerdings nicht, dass es unvereinbar wäre sich in beide Gewerke einzuarbeiten und sie für unterschiedliche Produktionen zu übernehmen. Dann erreicht man für beide Disziplinen ein höheres, verspielteres Level, welches in früheren Zeiten noch recht üblich war:
Zum Beispiel in der heute eher technisch eingeordneten Mathematik.
Das Wort „tala“ für „zählen“ bedeutete früher zugleich „aufzählen“ und „erzählen“.
Das Analysieren war nicht so weit weg vom Wahrnehmen und Ausprobieren.
Kennen wir heute die Mathematik vor allem für ihre Unterscheidung in richtig und falsch, war das längst nicht immer so. Es gab viele Zahlsysteme und Schreibweisen. Heute erinnert uns die Vielfalt der Rechenwege daran.
Auch die Physik ist nicht richtig oder falsch, sondern voller Vorschläge – aber halt nur für Profis.
Geometrie hatte früher viel mit Nachbildung der Natur zu tun, mit Entdeckung von Schönheit und Ästhetik.
Die Beschäftigung mit Zahlen hatte häufig mit dem Weltall zu tun: Man wollte herausfinden, wann etwas eintreten wird, wie eine Jahreszeit oder eine Sonnenfinsterniß.
Und dann berichteten die weisen Forscher der Naturwissenschaften von ihren Erkenntnissen: Sie erzählten, was sie ausgezählt hatten…
In den darstellenden Künsten haben sich viele Möglichkeiten zum Erzählen erhalten: Anhand von Bildern, Texten, Klängen, Reihenfolgen und Geschichten. Es geht darum, einen sinnlichen Eindruck neben dem Erkennen und Wissen zu vermitteln. Manche Schauspieler beschäftigen sich außerordentlich intensiv mit den wissenschaftlichen, sportlichen, traditionellen(usw.)… Themen, welche in ihrer aktuellen Produktion verhandelt werden.
Dabei muss jeder Spieler, der tatsächlich in die Technik wechselt, unabhängig vom Stück sein Instrumentarium schulen. Stimmlich und körperlich. Damit er, und das ist wichtig, ganz unabhängig vom Stück wieder ins Fühlen kommen kann und sich dann, auf diese weise „aufgewärmt“, wieder neu für das Stück interessieren und darin eintauchen kann.
Kunst und Technik gehen auf unterschiedlichen Wegen auf die selbe Mitte zu. Sie sind nicht unvereinbar, es ist nur wichtig, die verschiedenen Schichten der Mindsets als solche zu wahren.