Showentwicklung. How to survive

Dieser Beitrag nennt die grundverschiedenen Steps für die Entwicklung einer Show. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um ein Solo handelt oder um eine Ensembleproduktion, ob man mit sich selbst probt, oder ob man mit anderen Darstellenden die Abläufe für die Bühne erarbeitet.

Die einzelnen Steps folgen bei der Entstehung der Show nicht chronologisch aufeinander. Man kann sie aber aufgrund des nötigen Mindsets und der Verschiedenheit der Arbeitsumstände klar voneinander abgrenzen. Ich habe das getan, um mir selbst eindeutige Zeiträume im Prozess zu geben und weniger gestresst und desorientiert zu sein, wenn ich mir für einen Tag mal wieder zu viele to do’s aus unterschiedlichen Showentwicklungs-Steps vorgenommen hatte.

Recherche und Inspiration

Der initiale Inhalt für eine Show findet sich zum großen Teil schon vor dem Start einer Produktion.

Man setzt sich nicht an den Schreibtisch und nimmt sich vor, eine komplett neue Idee zu haben. Meist gibt es diese Idee schon lange. Entweder ist es ein eigenes Projekt, dessen Thema sich mit der Zeit so oft ins Bewusstsein gedrängt hat, dass man dieser Relevanz irgendwann nachgeben muss. Oder es handelt sich um einen Auftrag durch eine dritte Person.

Eine weitere Möglichkeit wäre diese: Es ist ein Thema zur Förderung ausgeschrieben und man entscheidet sich, dem Aufruf zur Umsetzung zu folgen und einen Entwurf einzureichen. Die Entscheidung kann finanzielle, logistische, ortsabhängige oder ganz andere Gründe haben.

Wenn die initiale Showidee einmal feststeht, finden sich die weiteren Inspirationen zu dem, was in der Show enthalten sein wird, eher in der Freizeit oder durch Begegnungen, als geplant. Es braucht etwas Zeit für die Fragen:

– Was fällt mir zu meiner Idee noch ein? Die Antworten sind ganz verschieden, wie bei einem Brainstorming. Je verschiedenartiger, desto besser.
– Was sind interessante thematische Querverweise? Hier geht es darum, was mich persönlich reizt. Das muss priorisiert werden. Werde ich stattdesen „beauftragt“, mehrere Assoziationen mit zu verarbeiten, bringt das kaum tolle Ergebnisse hervor, weil diese „Tips“ von außen mich einschränken und hemmen.
– Wozu kann ich persönlichen Zugang finden? Das ist eine sehr interessante und wichtige Frage, denn hier entscheide ich mein eigenes späteres Zutun zur konkreten Produktion. Wenn ich riesig Lust habe, in der Show eine Stunde auf der Bühne Trampolin zu springen, werde ich eine geplante Livemusik oder das Licht nicht selbst übernehmen können. Liegt mir persönlich mehr daran, großartige Medieneinspielungen umzusetzen, brauche ich eventuell einen Spieler, da ich nicht selbst auf der Bühne stehen kann.

Gestalterische Übersetzung

Der Ausdruck einer Show ist abhängig vom Gesamtkonzept.

Man schafft sich einen konzentrierten Rahmen mit ausreichend Zeit, lässt sich auf das Thema ein, sichtet Notizen und analysiert alles, was man schon weiß. An dieser Stelle geschieht es oft, dass man plötzlich wild Suchmaschinen konsultiert oder Kontakt zu Bekannten aufnimmt, wenn man die Fährte einer Idee aufnimmt und konkrete Informationen braucht. Gibt es den Beamer XYZ zu leihen? Ist es möglich, einen Pizzalieferanten zu einem exakten Zeitpunkt in der Show an die Bühnentür zu bestellen?

Aus einem solchen Teilaspekt des gestalterischen Ausdrucks verzweigen sich rasend schnell viele neue Informationen und manchmal findet sich die passende Lösung einfach „per Eingebung“ oder unterwegs. Manche Kollegen erfahren beim Duschen oder Kochen plötzlich sehr gute Ideen – also wenn sie sich nicht in der künstlerische Fragestellung verbeissen, sondern sich einer einzelnen Tätigkeit ganz zuwenden.

Man entdeckt somit ein Grundgerüst für das Aussehen und den Ablauf der Show und den Raum, in dem die Showidee zur Umsetzung kommen kann. Bedingungen werden formuliert (zum Beispiel: Gastspiele sind nur möglich an Orten, wo auch die Pizzakette Filialen hat… kleiner Scherz, aber von der Art her nicht abwegig) und deren Besonderheiten notiert.

Pragmatisches Rennen

Was immer später auf der Bühne passieren wird – es muss von Null an erst organisiert werden. Auf der Suche nach passenden Kollegen müssen die Ideen präsentiert werden. Probenzeiträume müssen geplant werden. Die Ergebnisse aus den einzelnen Bereichen müssen immer wieder kommuniziert werden. Sortiert, wer welche Informationen braucht, und wo gebrieft werden muss.
Wer schreibt, der bleibt – Dokumentation ist bei kreativen Prozessen immens wichtig, um nicht irgendwann an dem Punkt anzugelangen, wo man sich fragt: „Wie sind wir denn darauf gekommen?“
Terminplanung, Dateien hin- und herschicken, Ordnungsstrukturen aufbauen, kommunizieren, nachhaken….

All dies vorantreiben, um aus to Do Listen irgendwann Checklisten zu machen, erfordert Ruhe, einen klaren Kopf und professionelle Freundlichkeit, vorausschauendes Rennen und manchmal muss man dreist die Initiative ergreifen, um nicht als Stellvertreter für die gesamte Produktion im Lauf gestoppt zu werden.

Ein Mindset mit dickem Fell ist in diesem Aufgabenbereich passender als eine offene, kreative oder gar sensible Herangehensweise. Deshalb paart sich dieser Step gar nicht gut mit dem nächsten:

Zuhören und Zusehen

Auf der Probe gilt es, hier und jetzt mit dem Spieler im Moment zu sein, ihm zu folgen und auf ihn einzugehen. Ständig ergeben sich neue Impulse, die aufgenommen, einsortiert und vermittelt werden wollen.
Ich habe hierzu zwei weitere Beiträge verfasst: Vom Sein dürfen. Teil 1 und Rollenarbeit fürs Wissenschaftstheater.

Rückmeldungen sind extrem wichtig und sensibel.
Wertschätzend Antworten, auch bei kurzzeitiger Hilflosigkeit, wie „darüber muss ich in Ruhe nachdenken“…
… Deutlich führen, mit Ansagen wie „deine Pausenzeit ist deine Pausenzeit“ und nötigenfalls auch ein „Sag mal willst du mich verarschen !?“ …
… und klare Strukturierung des kreativen Prozesses mit verlässlichen Zusagen wie „an den Stellen X, Y und Z kannst du dich einbringen“…

…sind nicht nur wegen der persönlichen Haltung, sondern auch in ihrer Formulierungen essentiell. Das musste ich mir erst „abschauen“, um meinem Gegenüber das Gefühl zu geben, mit der eigenen künstlerischen Leistung gesehen und gewollt zu werden.

Conclusio

Ein wichtiger Zwischenschritt oder sogar schon die Premiere ist geschafft ? Die Show ist spielbar? Vermutlich sind noch Nachbesserungen offen und Dokumentation zu erledigen.

An dieser Stelle ist die nachhaltigste Wertschätzung gegenüber der eigenen Entwicklungsarbeit, wenn man in sich geht und sich die so betitelten „learnings“ verständlich formuliert und an einem Ort zusammenfasst.

Ich gehe meine Aufschriebe durch und übernehme aus hastigen Randnotizen die genau passenden Worte für Erkenntnisse, die ich mir vor jeder späteren Produktion wieder ansehe.

Neben einer guten Zeit, Dankes, Blumen, Lob vom Publikum und Premierengeschenken ist es dieser wachsende Berg an anwendbaren Erkenntnissen, der mir in meiner Arbeit auch dann noch einen nachhaltigen Sinn gibt, wenn Shows floppen, wenn Coronalockdowns kommen, wenn Vorgesetzte wechseln oder ich aus welchen Gründen auch immer in Ungnade falle, um es dramatisch auszudrücken.

Das und die langjährigen Kontakte zu hervorragenden Kollegen, mit denen ich meine learnings teile, verwurzeln mich auf der Bühne und lassen mich auch die nächste Showentwicklung „überstehen“ 😉

In eigener Sache

Eine gute Showidee zu haben, traut sich fast jeder Mensch zu. Fange ich Nerd aber an, von der Arbeit als Showentwicklerin zu sprechen, fühlt sich mein Gegenüber schnell im Informations-Overflow und winkt überfordert ab, ist vielleicht beeindruckt oder hinterfragt bereits die Grundlagen.
Ich möchte betonen, dass diese Situation im Gespräch zu absolut jedem einigermaßen komplexen Ausbildungs- oder Akademischen Beruf entsteht.

Es ist mir wichtig, zu verankern, dass Showentwicklung ein einigermaßen komplexer Beruf ist. Es ist nicht „große Kunst“, und es ist auch nicht „Talent“. Sondern es ist „Kochen mit Wasser“, man kann das lernen und darin Berufserfahrung sammeln und solche Arbeiten professionell abliefern – solide, halbherzig, reichlich gut oder auch mal nahezu perfekt.

Und wie in jedem anderen Beruf kann man sich spezialisieren. Das ist von außen nicht so einfach nachzuvollziehen, wenn man zum ersten Mal in die Verlegenheit kommt, dass man eine Showregie braucht, oder einen Ernährungsberater oder einen Förster – ob nun dieser oder jener Vertreter des jeweiligen Berufs geeignet ist ?

Fest steht, je unkonkreter ein Auftraggeber nach jemandem sucht, der „Shows entwickeln“ kann, desto unwahrscheinlicher ist ein Glücksgriff. Es lohnt sich, hier nicht zu sehr auf schöne Ergebnisse zu schauen, sondern die Arbeitsprozesse zu priorisieren – und einmal zu formulieren, an welchen konkreten Stellen ein entwickelnder Künstler mit seinen Aufgaben ansetzen kann. Dann finden sich auch geeignete Kollegen, die das können.

Nachfragen sehr gerne.